GARTENREICH
Dessau-Wörlitz

 

Fotos: © Heinz Fräßdorf

„God dam, ich bin in England“, rief ein Brite verdutzt aus, als er 1813 im Wörlitzer Park flanierte. Er stand im ersten großen Landschaftspark nach englischem Vorbild auf dem Kontinent. Bis heute hat dieses irdische Arkadien – gerade 90 Kilometer von Berlin auf dem Weg nach Leipzig gelegen – nichts von seinem Zauber eingebüßt. Im Gegenteil, gerade im 21. Jahrhundert genießen wir umso mehr die Früchte, die der visionäre Fürst  Friedrich Franz von Anhalt-Dessau im ausgehenden 18. Jahrhundert säte. Majestätische Bäume, grandiose Symbiosen von Natur und Kunst, Göttinen und Faune grüßen durch’s Grün, die berühmten Sichtachsen, die sich wie ein Fächer aufteilen und Panorama-Blicke auf malerische Architekturen freigeben. Der Fürst, beeindruckt von seinen Grand Tours, Bildungsreisen nach England und Italien, platzierte in seinem Park viele dieser Reisestationen. Der ganze Kosmos des Bildungsbürgers seiner Epoche ist versammelt und lässt uns heute bei jeder Wegbiegung noch staunen.
Eigentlich war Wörlitz, ganz modern, der erste Themenpark in Europa: antike Tempel, ein Pantheon, das erste Neo-gotische Haus auf dem Kontinent (inspiriert vom Landsitz Strawberry Hill des spleenigen Engländers Horace Walpole), eine Hommage an Italien die auf künstlichem Felsen erbaute Kopie der neapolitanischen Villa Hamilton. Von sentimentaler Schönheit ist die von Pappeln gesäumte Grabinsel für den Dichter Jean-Jaques Rosseau (das Original ist in Ermenonville/Frankreich). Größte Kuriosität jedoch ist ein Mini-Vesuv, 17 Meter hoch und Ausbrüche simulierend. Das kann man einmal im Jahr auch noch heute erleben.
Genussvoller sind – bis heute eintrittsfreie – Spaziergänge durch ein grünes Gesamtkunstwerk, dessen architektonische Krönung das Schloss ist. Erbaut 1773 vom Architekten Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorf, gilt das elegante Gebäude als Wegbreiter des Klassizismus in Deutschland. Im Inneren beeindruckt vor allem eine kostbare Sammlung von Wedgwood-Keramik.
Die allerschönste Weise, sich durch dieses verwunschene Reich zu bewegen, ist per Gondel. Man kann sie sogar privat mieten und damit lautlos durch die Kanäle, unter Brücken hindurch und an blühenden Wiesen entlang gleiten – wahrhaft paradiesisch. Der französische Parkomane Charles de Ligne bewunderte die Pioniertat des Dessauer Fürsten: „ Niemand hatte noch vor ihm dergleichen Gartenanlagen gemacht“ und Geheimrat Goethe lobte 1778: „Es ist wie ein Märchen…und hat ganz den Charakter der Elysischen Felder“. Das Gartenreich wurde damals selbst zum MUST für Adlige bei ihrer Grand Tour durch Deutschland.
Heute gehören dazu noch diverse Schlösser (Luisium, Mosigkau, Oranienbaum mit einer chinesischen Pagode, Großkühnau), seit zehn Jahren ist das ganze grüne Wunderwerk mit seinen 142 Quadratkilometern UNESCO-Welterbe – was im August kräftig gefeiert wird.
Also, Picknick-Korb packen und gondeln – es muss nicht immer Venedig sein. Das Gute liegt oft so nah!
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